Thurgauer Zeitung, 30. August 2016
Text und Bild: Dieter Langhart
Giancarlo Bolzan, der diesen Satz sagt, ist Mitglied der Gruppe Kunstthurgau. Sie besteht seit 75 Jahren und hat sich einen frischen Anstrich gegeben, im Netz und mit einer Publikation. Das Buch schwelgt nicht in Nostalgie, sondern stellt die Kunstschaffenden in den Mittelpunkt.
«Es war einmal …» Die Versuchung ist gross, so zu beginnen, wenn man ein rundes Jubiläum feiert. Kunstthurgau ist ihr nicht erlegen. Zum Glück. Die grösste Künstlergruppe im Thurgau blickt nicht verklärt in die Vergangenheit, sie blickt nicht zuerst auf die Kunstwerke (dafür sind Ausstellungen da), sie blickt auf ihre Mitglieder. Und lässt sie reden. Und zeigt sie im Atelier, bei der Arbeit, in ihrem Garten gar. Im Leben also.
Ein grosses, persönliches, attraktiv gestaltetes Buch ist es geworden, und es rundet das Jubiläum ab, das vergangenen Herbst mit einer kuratierten Gruppenausstellung im «Shed» Frauenfeld begonnen hat.
Gesamtkommunikation als Ziel
Begonnen hat alles aber schon vorher. Der Verein Kunstthurgau beauftragte René Sennhauser, selber Künstler und Inhaber einer Kommunikations- und Designagentur, mit der Aufgabe, dem Auftritt der Künstlergruppe und ihrer Mitglieder einen neuen, einen unverwechselbaren Anstrich zu geben. René Sennhauser spricht zu Recht von «Gesamtkommunikation».
Die Website dient als Plattform für die Gemeinschaft. 32 Künstler, beinahe alle Mitglieder, haben hier eine eigene Seite. Die Gestaltung ist schlicht und bleibt sich gleich: ein kerniger Satz als Motto, ein Videoporträt, Reproduktionen einiger ausgewählter Werke; Kurzbiographie und Ausstellungsverzeichnis; Kontaktangaben samt Link zur eigenen Website, falls vorhanden. Und stets bleiben beim Blättern alle Gesichter der Gruppe im Hintergrund sichtbar: Der Künstler steht im Vordergrund, ist eigenständig, und dennoch ist er Teil eines Ganzen.
«Nicht nur Bauern»
Kunstthurgau steht für dieses Ganze, aber ebenso der Kanton Thurgau. «Der Thurgau war eine Offenbarung für mich», sagt der Zürcher René Sennhauser, «ich lernte bei den Atelierbesuchen eine andere Seite des Kantons kennen.» Und fügt lachend hinzu: «Im Thurgau leben also nicht nur fleissige Bauern.»
Die Gestaltung der Publikation spiegelt beides: Vorn auf der Buchdecke schemenhaft alle Gesichter; hinten eine Fotografie mit Acker, Dorf, Rebhang und der Internetadresse; auf dem Rücken sodann, als ein Titel, Bolzans kräftiger Satz: «Im Atelier hört der Spass auf.» Erst auf dem Vorsatz treten die Gesichter der Kunstschaffenden klar hervor.
Unabdingbar: ein Geleitwort (Regierungsrätin Monika Knill), ein historischer Abriss (Präsidentin Brigitta Hartmann), eine kritisch-historische Einordnung der Künstlergruppe (Markus Landert, Leiter des Kunstmuseums Thurgau).
Einheitliche Präsentation
Das Buch rundet die Idee der Erneuerung ab, die Kunstthurgau angestrebt hat. Der Seite im Web entsprechen hier sechs Seiten je Künstlerin oder Künstler. Diesen sechs Seiten liegt ein stringenter Gestaltungswille zugrunde, ein einheitliches Raster über einem blassgrünen Papierton: erst ein grosses Porträt, darüber gelegt das persönliche Motto; Antworten zu neun Fragen (stets dieselben); auf den vier verbleibenden Seiten dann fotografische Impressionen aus Atelier, Werkstatt oder Blumengarten, bisweilen auch Aufnahmen einer Werkserie. Derart wird der quasi unsichtbare Künstler anders als in einer Ausstellung erkennbar, fühlbar und aufs Neue präsent.
Und so entfaltet sich, vor dem einheitlichen Gestaltungsraster, die Vielfalt und Verschiedenheit der Kunstschaffenden. So heisst es beim Frauenfelder Fredi Bissegger: «Es waren wilde Jahre.» Wie die meisten kann der Frauenfelder von Kunst allein nicht leben. Was treibt dich an, weiterzumachen? «Ich brauche die Auseinandersetzung.»
«No en richtige Luusbueb»
Am knappsten fasste sich der kürzlich verstorbene Ermatinger Urs Graf bei den sieben Fragen. Wie beschreibst du dein Schaffen? «Nicht sehr angepasst!» Wolltest du schon mal aufgeben? Keine Kunst mehr machen? «Nein, ich kann ja nichts anderes.» Auf der Website steht beim Nachruf auf Urs Graf ein Satz, mit dem der Künstler die über ihn gestalteten Seiten im Jubiläumsbuch kommentiert hat, an der Buchvernissage am 26. Juni: «Gell, i bi no en richtige Luusbueb!»