«Der Künstler als Teil eines Ganzen»

Thurgauer Zeitung, 9. November 2015

Text und Bild: Dieter Langhart

Die Künstlergruppe kunstthurgau feiert 75 Jahre Bestehen. In der Shedhalle lassen sich höchst unterschiedliche Arbeiten auf die Geschichte ein und suchen Antworten auf die Frage: Warum braucht es diese Gruppe?

Wer die Shedhalle betritt, dem stechen drei Kunstwerke zuerst ins Auge: 75 Raku-Teller liegen am Boden, eine Eisenskulptur ragt in den Raum, ein farbiger Vorhang hängt von der hohen Decke. Geschaffen haben die Arbeiten Ursula Bollack, Markus Graf/Gabriel Mazenauer und Nicola Grabiele. Doch in der Halle sind einundzwanzig weitere Künstler zu entdecken.

 

Kuratierte Geschichte

 

Zwei Dutzend der derzeit 34 aktiven Mitglieder sind der Einladung von Kunstthurgau gefolgt und haben sich mit meist neuen Arbeiten darauf eingelassen, die Geschichte der Künstlergruppe zu reflektieren – auf verblüffend unterschiedliche Weise. Oft gehen die Jahresausstellungen von Kunstthurgau spezifisch auf den Ort ein, wo sie zu sehen sind, doch diesmal wollten der Vorstand um Präsidentin Brigitta Hartmann und die zwei Kuratorinnen Katja Baumhoff und Rebekka Ray, dass sich die Künstler auf die Geschichte der Gruppe besinnen und mit ihren Werken darauf beziehen.

 

Harmonie und Konflikt

 

Ursula Bollack hat die Akten von Kunstthurgau genau studiert, und die Farben auf ihren Tellern – bewusst sind nicht alle glasiert – reflektieren frohe und trübe, harmonische und streitbare Jahre.

 

In der Plastik von Markus Graf und Gabriel Mazenauer streben Eisenstäbe wie Arme oder Stengel aus einem einigenden Zentrum – oder ist es genau umgekehrt?

Nicola Grabiele hat in Brockenhäusern alte Thurgauer Helgen gekauft, ausgerahmt, übermalt und zu einem Gesamtwerk gefügt, auf dem Spuren des Ursprungs noch durchschimmern.

 

Die Kuratorinnen haben die eingereichten Werke gesichtet, ausgewählt, vier Hauptthemen ausgemacht und die Halle in vier Farbräume geteilt – gehängt haben die Künstler ihre Werke selber.

 

Blau steht für Geschichte. Giancarlo Bolzan hat sich mit Adolf Dietrich beschäftigt, einem der Gründer 1940; Martin Maeder bezieht sich auf seinen Künstlerpaten Willi Hartung; Stefan Rutishauser nahm Kontakt auf zu Charles Boetschis Witwe.

 

Vom Ort bis zum Menschen

 

Braun kennzeichnet die Landschaft, die Heimat. Hier zeigt Walter Fröhlich, das älteste Aktivmitglied von Kunstthurgau, Aquarelle und Holzschnitte; Fredi Buchli ist in alle Ortschaften gefahren, in denen Mitglieder der Gruppe wohnen, und hat flüchtige, zarte Skizzen heimgebracht und zu einem Thurgauer Panorama gehängt; Pierre Sutter mit seinen südlichen Landschaften steht für jene Künstler, die den Kanton oft verlassen und immer wieder zurückkehren.

 

Rot ist die Farbe der Gruppe und ihrer Dynamik. Fredi Bissegger zeigt extreme Vergrösserungen von Strukturen; mit den Gesichtern oder Ausdrücken der Mitglieder arbeiten Eva Stucki und Elisabeth Harling; von Agnes Blum ist das Ergebnis ihrer Performance zu sehen – geschenkte Hemden in einem Rohr als Symbol für den Einzelnen, der sich im Grösseren integriert; bei Betty Kuhn sitzen alle im gleichen Boot, das sich mit aufgeschriebenen Eindrücken füllt.

 

Grau steht für Gemeinschaft. Bianca Frei-Baldegger, ein langjähriges Mitglied, sagt schlicht, «was ich mache, ist Teil von Kunstthurgau», während Mark J. Huber, der auch Musiker ist, eine Tonne mit Musik aufstellt und Walter Wetters «Alchimistische Telefonzentrale» die Namen der Mitglieder ansagt, wenn man den Hörer abnimmt.

 

Dialog im Zentrum

 

Und mitten im Raum laden alte Möbel die Besucher ein, in Dokumenten zu blättern und sich kritisch auszutauschen. Denn nichts hat die Gruppe so sehr verändert wie der Wandel in der Kunst und im Thurgau – und genau darauf zielt die Ausstellung. Damals, vor 75 Jahren, gab es im Kanton Thurgau noch keinen Raum für die Künstler, kein Museum für die Kunst.


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